Samstag, 7. April 2012

Die Zeitmaschine


Am Silvesterabend des Jahres 1899 beichtet der Erfinder George Pal seinen Kollegen und Freunden davon, dass er ein Gerät erfunden habe, mittels dessen es möglich sei, durch die vierte Dimension zu reisen. Der Gedanke an eine Zeitmaschine wird jedoch mit Spott und Unglauben erwidert, selbst nachdem George erfolgreich ein Modell verschwinden lässt. Bloß der in direkter Nachbarschaft lebende David zeigt einen Funken Vertrauen in Georges Theorien, bringt aber kein Verständnis für den Wunsch auf, durch die Zeit zu reisen und so seinen angestammten Platz im gegenwärtigen Schicksal zu verlassen. Nach Abreise seiner Freunde begibt sich George in sein Laboratorium, um die Zeitmaschine selbst auszutesten ...

Der ungarische Tricktechniker George Pal stellte nach seiner Flucht vor den Nazis in den 40er-Jahren für Paramount die Stop-Motion-Trickfilme der Puppetoon-Serie her, von denen sieben Stück für einen Oscar nominiert wurden, darunter auch den Anti-Kriegsfilm Rhythm in the Ranks. 1944 erhielt er sogar für seine Pionierarbeit in diesem Trickmedium einen Ehrenoscar. In den 50ern wechselte er ins Fach des Realfilms, wo er sich vor allem auf Fantasy- und Science-Fiction-Filme spezialisierte, die auch regelmäßig für ihre herausragende Effektarbeit mit Academy Awards prämiert wurden. Kommerziell besonders erfolgreich und von Kritikern umjubelt war Pals Filmadaption von H. G. Wells' Krieg der Welten aus dem Jahr 1953, wobei manche Filmhistoriker und Weggefährten Pals seine zweite Verfilmung eines Werkes des großen Science-Fiction-Autoren als den wahren Höhepunkt seiner Karriere betrachten: Die Zeitmaschine.

Pal und Drehbuchautor David Duncan halten sich weitestgehend an den Handlungsverlauf der ursprünglichen Novelle von H. G. Wells, verschieben jedoch durch die für eine abendfüllende Spielfilm-Laufzeit notwendigen Erweiterungen und Georges Theorien über den Verlauf der Menschheitsgeschichte im Laufe der Jahrtausende den inhaltlichen Schwerpunkt. War Wells' Novelle eine sich mit dem Klassenkampf beschäftigende frühe Dystopie, behandelt George Pals Die Zeitmaschine das Kriegstreiberische im Menschen sowie den Wert seines Wissensdurstes. Vor dem biografischen Hintergrund des Regisseurs/Produzenten sowie unter Berücksichtigung der gesellschafts- und weltpolitischen Entwicklungen zu Zeiten der Filmproduktion sind diese Ummünzungen von Wells' Ursprungsaussage sowohl verständlich, als auch vertretbar. Es ist eine künstlerisch sinnige Neuinterpretation des Stoffes und eine dem erzählerischen Reiz des Originals treu bleibende Modernisierung.

Der vom Australier Rod Taylor ausdrucksstark, zuweilen ein wenig zu naiv gespielte, Wissenschaftler George erhält in diesem farbenfrohen Kinofilm ein klares Motiv für die Erfindung von Zeitreisen: Ihm ist es zuwider, dass die Erde kurz vor der Jahrhundertwende von zahlreichen kriegerisch ausgetragenen Konflikten geprägt ist. In der Zukunft verspricht er sich ein harmonischeres Gesellschaftsbild, stattdessen erhascht er Ausblicke auf zwei Weltkriege und das atomare Wettrüsten zwischen Ost und West. Erst in einer weit entfernten Zukunft erblickt er eine ganz und gar friedfertige, müßiggängerische Menschheit – welche den Forscher allerdings zur Weißglut bringt und zudem dunkle Rätsel über den Verlauf der Menschheitsgeschichte aufstellt. Wie das Poster verspricht, kommt es im Jahr 800.000 (eigentlich sogar im Jahr 802.701, aber das sieht auf Promomaterialien wohl längst nicht so sexy aus) letztlich sogar zu einem Hauch von dunkler Abenteuer-Action, die in weiträumigen, aufwändigen Sets stattfindet und auch recht gut choreographiert wurde. Der Look der schaurigen Zukunftsmonster ist jedoch, bei allem Kultfaktor den er mittlerweile errungen hat, eher lachhaft geraten.

Einen weiteren Schwachpunkt in diesem ansonsten visuell so formidablen Science-Fiction-Klassiker stellen die Maskenmalereien dar, die Georges Anwesen im Süden Englands in das Städtebild unterschiedlicher Epochen einbetten sollen. Diese mögen zwar detailreich sein, sind aber auch für das ungeübte Auge auf Anhieb als Gemälde zu erkennen. Den Fotorealismus der sich nahtlos in die echten Kameraaufnahmen einfügenden Matte Paintings eines Peter Ellenshaw (20.000 Meilen unter dem Meer, Mary Poppins, Dick Tracy) erreichen die Bilder in Die Zeitmaschine nicht im Ansatz. Faszinierend, und berechtigt mit einem Academy Award bedacht, ist dagegen der Einsatz von Stop-Trick und Zeitraffer-Fotografie, um den (unterschiedlich rasanten) Lauf der Zeit darzustellen. Genial finde ich auch, wie auf eher beschränkte Mittel zurückgegriffen wird, um nicht aus einer omnipotenten Perspektive, sondern wirklich aus Georges persönlicher Sicht das Zeitreisen zu vermitteln. Statt einer überbordenden Effektorgie ist es für George ein nahe gehendes, intimes Ereignis, aus seiner (großartig gestalteten) Zeitmaschine kann er nur aus dem Fenster seines Laboratoriums blicken, welches ihm wiederum den Ausblick auf seinen Garten und das Schaufenster eines Modegeschäfts ermöglicht. Dadurch wird eine Schaufensterpuppe zu Georges nicht alternden Reisegefährtin.

Generell ist Die Zeitmaschine, trotz des aufregenden Konzepts und einigen Abenteueranteilen im letzten Akt, ein eher demütiges Science-Fiction-Werk. George ist ein staunender, intellektueller und nachdenklicher Forscher, sozusagen ganz nach der alten Schule. "Solche Filme machen sie heutzutage nicht mehr", ist ein überstrapaziertes Urteil, aber in diesem Fall trifft es eindeutig zu, tendieren Filmwissenschaftler in ihrer heutigen Darstellung entweder zu dunklen Hintergedanken oder dick aufgetragener Coolness. George will hingegen lernen und Erfahrungen sammeln, er äußerst Skepsis gegenüber der Gegenwart und ist erschüttert über die Zukunft – was allesamt dem Filmpublikum nachfühlbar dargelegt wird.

Alan Young, dessen Rolle seitens des Drehbuchs etwas stärker unterfüttert hätte sein dürfen und dennoch emotional stark räsoniert, trägt dieses ehrfürchtige Grundgefühl dieser Geschichte weiter und entlässt den geneigten Zuschauer auf einem nachhallenden Gedanken aus dem Film.

Fazit: Die Zeitmaschine von 1960 vereint Wunder, Spannung und Staunen mit begründeter Nachdenklichkeit auf eine Weise, wie es das Science-Fiction-Kino von heute kaum noch vermag.

2 Kommentare:

Manu hat gesagt…

Einer meiner absoluten Lieblingsfilme.

LG

papene hat gesagt…

Nicht zu vergessen sei die ausführliche wunderbare Hommage in 'Big Bang Theory', 1.14 ... :)

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