Samstag, 19. Januar 2013

Waltmenschen: Jack Kinney


An dieser Stelle möchten wir den bekannten und weniger bekannten
Mitarbeitern Walt Disneys einige Zeilen widmen – Im Schatten der Maus.


Jack Kinney (links) und Cliff Edwards posieren für ein Dumbo-Produktionsfoto

Im Rahmen von "Im Schatten der Maus" wurde ja bereits erwähnt, dass Goofy mehrere geistige Väter hat. Neben Studioboss Walt Disney, Originalstimme und Inspiration Pinto Colvig und dem seinen Charakter analysierenden Animator Art Babbitt wären da der Zeichner John Sibley, der den späteren, schnelleren Goofy-Humor vorführte und perfektionierte, sowie niemand geringeres als der Regisseur Jack Kinney, ohne den Disneys schlappohriger Tollpatsch nie zu seinen prototypischen Cartoons gekommen wäre.

Jack Kinney wurde am 29. März 1909 geboren und lernte auf der High School seinen besten Freund und langjährigen Mitarbeiter Roy Williams kennen. Die beiden an der Zeichenkunst interessierten Footballspieler heuerten in den frühen 30er-Jahren bei den Walt Disney Studios an (Kinney begann seine Arbeit offiziell am 9. Februar 1931), wo Kinney zunächst zu den wenigen Männern zählte, die im "Ink & Paint"-Departement des Studios tätig waren. Kinney gab dort unter anderem Mickys erstem Farbcartoon The Band Concert seine Form, ehe er in die Storyabteilung aufsteigen durfte und als leitender Storykünstler für diverse Micky- und Pluto-Filme verantwortlich war. Darunter befanden sich The Brave Little Tailor, Walts großer Hoffnungsträger für den Start eines Micky-Comebacks, sowie Mickey's Trailer, einer der vielen gemeinsamenAuftritte vom braven Mäuserich, dem Hunde-Tollpatsch und dem zornigen Unglückserpel.

Kinney und Williams wurden in den Disney-Studios rasch bekannt wie ein bunter Hund. Der große, auffällige und nicht gerade stille Ire Kinney gab allein schon optisch neben dem schon früh seine Haare verlierenden, untersetzten und ein wachsendes Bäuchlein vor sich herschiebenden Williams einen ulkigen Anblick ab, was dem Duo selbst stets bewusst war. Als wären sie nie der Pubertät entwachsen, fuhren sie nahezu immer gemeinsam in Williams' Ford Roadster zu den Studiotoren vor und kündigten ihre Ankunft mit frechen Spitznamen füreinander an. An ihrem Arbeitsplatz rangelten sie regelmäßig, was häufig genug dazu führte, dass Storyboardtafeln und Wasserspender zu Bruch gingen.

Großen Respekt bei ihren Kollegen ernteten die zwei wilden Buben, als sie den unter den Angestellten verhassten Studiomanager George Drake während eines besonders hitzigen Exemplars seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle packten, emporhoben, in aller Seelenruhe und kommentarlos aus dem Studio trugen und mitten auf der Hyperion Avenue absetzten. Zwar bekamen sie dafür einen Anschiss von oben, aber die Standing Ovations ihrer Kollegen sollen es angeblich wert gewesen sein.

Das freimütige und unbändige Naturell Kinneys spiegelte sich auch in seiner Arbeitshaltung und dem Humor seiner Kurzfilme wider. Als Hitzkopf Art Babbitt, aufgrund des großen Studiostreiks vorläufig nicht zur Verfügung stand, sprang Jack Kinney ein und schuf als Regisseur ein Goofy-Segment für den Mischfilm The Reluctant Dragon. Dieses fungierte als Geburtsstunde für die How to ...-Reihe und somit als Wendepunkt zwischen Babbits und Kinneys Goofy. Die Reihe steigerte sich nach dem dezent mit Ironie und noch besonnenem, Disney-typischen Slapstick arbeitenden Einstieg How to Ride a Horse konsequent in immer mehr Irrsinn hinein, die dem „erdigeren“ Goofy Babbits weniger und weniger entsprach. Wenn nicht mit How to Play Baseball, dann stellten die Goofy-Cartoons spätestens mit Hockey Homicide reinen Ausdruck von Kinneys anarchischem, hyperrasanten und überaus körperlichem Chaoshumor dar.

Es war auch Jack Kinney, und nicht Donalds Stammregisseur Jack King, der den Oscar-Gewinner DerFuehrer's Face inszenierte und somit Donalds Albtraum, im Naziland zu leben, mit seinem denkwürdigen, keinerlei Grenzen kennenden Irrsinn ausstattete.

Die feistere Seite von Kinneys Humor zeigt sich am besten in dieser Karikatur der "sieben Gesichter Walt Disneys"

Die Rasanz Kinneys zeigte sich auch gegen Ende seiner Disney-Karriere im Kurzfilmsektor, etwa in dem eskalierenden Limited-Animation-Cartoon Pigs Is Pigs von 1954 oder in den von ihm geschriebenen Donald-Kurzfilmen How to Have an Accident in the Home und How to Have an Accident at Work. Kinney war allerdings nicht völlig auf Chaosslapstick-Cartoons festgelegt und war als Sequenzregisseur an den Meisterwerken Pinocchio, Saludos Amigos, Drei Caballeros, Make Mine Music, Fröhlich frei, Spaß dabei, Musik, Tanz und Rhythmus sowie Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte beteiligt. Kinneys nunmehr wohl umstrittenste Leistung während seiner Disney-Laufbahn ist unterdessen die Leitung der Krähen-Sequenzen in Dumbo, welche von vereinzelten Filmhistorikern des Rassismus angeklagt wird.

Die Krähen waren bereits Part von Joe Grants und Dick Huemers ursprünglichem, 102 Seiten starken Storytreatment, worin jedoch für deren Szenen kein Song vorgesehen war. Während des Storyboard-Prozesses empfand es Kinney als naheliegend, den Kern der Szene mit einem Lied zu vermitteln, was zunächst einiges Hin und Her zwischen den verschiedenen Studioabteilungen verursachte und dazu führte, dass die betroffenen Sequenzen zu den letzten zählten, die fertig gestellt wurden. Als der Song feststand, so erinnert sich jedenfalls Disney-Legende Ward Kimball, schlug Kinney vor, für die Aufnahme neben des (afro-amerikanischen) Hall Johnson Choirs auch Jiminy-Cricket-Sprecher Cliff Edwards zu besetzen.

Grund dafür war ein Liveact, den Edwards zusammen mit Komiker Lou Clayton 1922 aufführte und der sehr positive Kritiken erhielt, weil Edwards im (sonst so unsensiblen) Blackface eine akkurate, unüberspitzte Imitation schwarzen Slangs zum Besten gab. Gemeinsam mit Edwards Erfahrung hinter den Disney-Mikros und seiner Fähigkeit, zahlreiche Instrumente nachzuahmen, habe dies ihn für die Rolle eine der Krähen qualifiziert und seine lebendige Performance soll es gewesen sein, die seine Krähe zum Anführer der Bande herauskristallisierte. Die der Besetzung Edwards und der Umsetzung der Szene zuweilen unterstellte Diffamierung von Afro-Amerikanern war demnach niemals Intention Kinneys und des restlichen Studios.

Gemäß Ward Kimball war Kinney generell ein sehr intuitiv arbeitender Regisseur, der sich, so weit es ihm möglich war, seine Zeichner aussuchte und solche Verrückten wie nunmal Kimball oder den genügsamen, zeichnerisch stets die Pointe auf den Kopf treffenden John Sibley um sich scherte. Kinney habe vorab genau gewusst, was er wollte, und aus dem Bauch heraus entschieden, wie dies erreicht werden kann und wo er den Animatoren freie Hand lassen kann. Oft habe er ihnen sogar völlig freies Geleit gegeben und dann die Stapel Zeichnungen genommen, um selbst das Timing zurecht zu rücken oder aus mehreren Alternativen die endgültige Fassung zusammenzusetzen. Dies habe ihn zum Gegenstück von Regisseuren wie Wilfred Jackson gemacht, welcher seine Aufgabe wie eine Wissenschaft betrachtete und Studien anfertigte, um die Szenen bis ins Detail zu analysieren.

1954 bis 1957 kam Kinney dann die mehr Disziplin und Feinarbeit verlangende Aufgabe zuteil, die Übergänge zwischen neuer und wiederverwendeter Animation in der TV-Show Disneyland zu überwachen. Am 13. März 1958 gründete er schließlich seine eigene Produktionsfirma, die in den Folgejahren für UPA 1001 Arabian Nights mit deren gezeichneten Superstar Mr. Magoo umsetzte, zudem erstellten Jack Kinney und sein Bruder Dick zwischen 1960 und 1962 100 Fernseh-Farbcartoons mit Popeye.

Bald darauf zog sich Kinney aus der Trickproduktion zurück. 1988 veröffentlichte er als einer der ersten Disney-Filmschaffenden eine prominent veröffentlichte Memoirensammlung (mit dem humorigen Titel Walt Disney and other assorted characters - An unauthorised account of the early years at Disney's), vier Jahre später verstarb er eines natürlichen Todes.

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